Nur eine Beziehung

Sven Steinbeck


Schon lange haben sie sich nichts mehr zu sagen. Jeder Monat ein Kampf, ein Kampf gegen die Vergänglichkeit mit einer durchschnittlichen Dauer von 30 Tagen, 720 Stunden, 43200 Minuten, 2592000 Sekunden. Kämpfen, das bedeutet: vergesslich sein; Erinnerung meint Einsamkeit. Einsam waren sie lange genug, ihre Beziehung rettender Anker im ewigen Sturm. Schwer ist es, den Anker nach sieben Jahren zu lösen, sich wieder in das reißende Meer der Selbstzweifel zu stürzen; Beziehung meint Bestätigung, doch Einsamkeit, das ist Freiheit.

»Verflixtes siebtes Jahr!« Nachdenklich stimmt dieser Spruch, als er ins Gefecht geworfen wird, beide schweigen. Schweigen macht in jenen 30 Tagen Krieg statistisch gesehen gut 75 % Prozent aus. Der Stille kommt in ihrer Beziehung eine große Bedeutung zu. Wer schweigt, kann nicht streiten!? Sie: »Du suchst nur noch Streit, gib es doch endlich zu ...«

– Pause, Stille –

Er: »Gib zu, dass du einen anderen hast, die ganze Zeit ...«

Es fällt ihr zunehmend schwer, bei diesem Vorwurf zu schweigen und der Betrachter fragt sich, ob die Formel Schweigen ungleich Streit noch tragbar ist. Eins ist Schweigen aber sicherlich: die psychologische Komponente der Kriegsführung. Reden ist Silber, Schweigen ist ...

»Das ist doch das Letzte, ich bin dir nicht einmal eine Antwort wert, die Wahrheit wert.«

Von einer Sekunde auf die andere bricht es aus ihr heraus, fällt ab wie die Last von fünf 100-Gramm-Tafeln Schokolade –die von der besten Freundin verschriebene ›Frustverdrängungsdosis‹, einzunehmen täglich – .

»Du dummes, schwanzgesteuertes, arrogantes Arschloch!«

»Danke Schatz, Arschloch hätte es auch getan.« Ihr Gegenüber gerät ins Taumeln und die Chancen zum Knock-out steigen stetig. Sie holt Luft, ist bereit für den Tiefschlag (wäre dies hier wirklich ein Boxkampf, würde er mitten in die ›Steuerungszentrale‹ treffen)

»Ich fi*** schon seit zwei Jahren mit einem Fremden.« Dieses Mal schweigt er. »... Schließlich bist du mir seit zwei Jahren total fremd.« (Anscheinend macht Schokolade philosophisch und der Hang zur Dramatik ist bei Frauen genetisch bedingt).

Eine ganze Weile ist es nun wieder still. Sein Blick scheint die Wände abzutasten, er traut sich nicht, ihr in die Augen zu schauen. Ein Blick sagt eine Menge, ein Blick kann Ausdruck von Stärke sein und im nächsten Moment innere Zerrissenheit reflektieren. Stark war er in den Kampf getreten, vom Schwall der Gefühle zerrissen, steht er nun vor ihr, wirkt blass. Könnte er doch übers Wasser gehen, das Meer teilen oder sie – das würde für den Anfang schon reichen - einfach nur in den Arm schließen, als wäre nichts gewesen. Manchmal sind Worte tödlich, Kommunikation und Empathie Fremdwörter.

»Du kannst mich mal!« Ein ebenso schlichter, wie gern im Streit benutzter Satz unterbricht die Stille (autsch, taktisch unklug, jetzt die verletzte Diva zu spielen).

Sie: »Das wollte ich hören.«

Weitere vier Wörter bringen die Stimmung zum Überkochen – ja, sie wollte das hören, so fällt das Schlussmachen gleich viel leichter.

»Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«

»Nicht alles, was glänzt, ist Gold.«

»Das Leben ist kein Zuckerschlecken.«

Langsam wird ihm bewusst, wie sehr seine Mutter damals Recht hatte. Auf der anderen Seite:

»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.« Das baut auf, treibt an. Man könnte auch sagen »Shit Happens«, denn wenn es eine treffende Formel für das Leben gibt – eine Regel, die zutrifft - dann »Scheiße passiert.«

Als sie schließlich geht, schlägt diese Regel gnadenlos zu, sticht in sein Herz und drückt ihn auf den Grund. Beinahe geht er unter, er kann nicht übers Wasser laufen! Liebe und Schmerz, das schließt eine gewisse Erleichterung nicht aus. Er braucht sich nicht mehr zu beweisen oder zu verstellen, er ist wieder er selbst und gehört niemanden.

»Ich hatte eh die Schnauze von dir voll, du tust mir Leid!« Es wird ihr hinterher geschrieen, verhallt im Treppenhaus. Ja, DAS musste sein. Für einen Moment liegt da wieder ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, für einen Moment ist er Sieger. Erkenntnis: Männer haben die psychologische Kriegsführung ebenso wenig gepachtet wie Frauen, beherrschen sie aber mindestens genauso gut!

»Auf Regen folgt Sonnenschein.« Er verlässt die Wohnung, geht unter Menschen. Draußen ist es kalt, es regnet. Eine halbe Stunde später findet er sich in einer Kneipe wieder. Blass und vom Regen durchnässt sitzt er auf einem Barhocker. Jemand prostet ihm zu. Endstation Trennung, doch der Zug fährt weiter – bitte zahlen. Er löst sein Ticket ...

Die gesamte Ausgabe 12 /2009 V2 [416 KB] gibts hier als PDF.

Über den Autor

Sven Steinbeck ist 1986 in Goslar geboren, wo er auch derzeit lebt. Das Schreiben begleitet seinen Weg schon seit dem fünfzehnten Lebensjahr, thematisch befasst er sich dabei überwiegend mit der Gesellschaft, sowie ihrer Herausforderungen und Probleme für den Einzelnen. Da somit der Mensch im Zentrum seiner Arbeiten steht, verwundert es nicht, dass sich auch Erfahrungen aus dem eigenen Leben in seinen Texten widerspiegeln.